WM Tagebuch - Teil 3 - Der erste Tag im Ally Pally
Das erste Spiel beginnt und direkt steht mit René Eidams ein deutscher Spieler auf der Bühne. Wir verfolgen die Partie in der Halle und schnell bin ich von der Atmosphäre im Ally Pally beeindruckt. Ich war vor kurzem bereits in Sindelfingen, wo ebenfalls über 3.000 Zuschauer anwesend waren. Hier in England ist das ganze allerdings noch einmal deutlich lauter und die Stimmung in Deutschland ist gar nichts dagegen. Während der Deutsche traditionell zu allem klatschen muss, egal ob es passt oder nicht, konzentriert sich der Engländer vor allem auf seinen Gesang und das verfehlt seine Wirkung nicht. Alles prallt mit einer unheimlichen Wucht auf mich und ist körperlich zu spüren.
Nach dem Spiel treffen wir John McDonald, den Master of Ceremonies auf dem Weg in den Presseraum und unterhalten uns sehr nett mit ihm. Eine kleine Enttäuschung hat anschließend Dave Allen, der Mediendirektor der PDC, für mich parat. Er teilt mir mit, dass nach den Matches keine Einzelinterviews möglich sind, weil so viele Medienvertreter gerne mit den Spielern sprechen möchten. Stattdessen kommt der Sieger eines jeden Erstrundenmatches für eine Pressekonferenz ins Mediacenter und jeder darf seine Fragen stellen. Eigentlich hatte ich mir erhofft, so viele Audiointerviews wie möglich mit verschiedenen Spielern zu führen, aber bei einer solchen PK kann man schlecht das gesagte noch ins deutsche übersetzen, so dass wir uns etwas anderes überlegen müssen. Schnell entscheiden wir uns dazu, die Pressekonferenzen trotzdem aufzuzeichnen und das gesagte anschließend schriftlich für die Website zu übersetzen.
Bevor der Sieger zur Pressekonferenz kommt, geht es zunächst zu verschiedenen TV-Stationen. Angefangen mit Sky Sports und dann auch noch Sport1 und RTL7 aus den Niederlanden. Obwohl Sport1 vor Ort ist, sind Elmar Paulke und Tomas Seyler nirgendwo zu sehen. Auch wenn es die „Road to Ally Pally“ gab, kommentieren die beiden das Geschehen nicht aus London, sondern vom Sendezentrum in München.
Ein erstes Highlight steht danach für mich an. Kim Huybrechts, den ich seit ich regelmäßiger Gast der Österreicher auf der European Tour bin persönlich kenne, hat seine erste Partie. Er findet allerdings nie wirklich zu seinem Spiel und muss sich am Ende David Pallett mit 2:3 geschlagen geben. Leider treffe ich ihn nicht mehr bei dieser Weltmeisterschaft. Auch Dimitri van den Bergh und Ronny Huybrechts, die sich sein Spiel live in der Halle angeschaut haben, sind im Anschluss sehr schnell verschwunden.
Später trifft dann noch René Eidams auf Michael van Gerwen. Nachdem beide Spieler auf der Bühne sind, kommt plötzlich John McDonald wieder bei mir vorbei. Er fragt, ob ich den Abend genieße und teilt mir mit, dass er jetzt Feierabend hat. Ich sage ihm, dass er gut nach Hause kommen soll und wende mich dann dem Spiel zu. Während des zweiten Satzes ruft mir eine bekannte Stimme zu. Es ist Carsten Arlt, der Turnierdirektor der PDC Europe. Wir unterhalten uns ein Bisschen und schnell stellt sich heraus, dass er als Begleitperson von René das erste Mal in London mit dabei ist. Anschließend geht er wieder zu seinem Platz und wünscht mir noch viel Spaß. „Das wird jetzt aber wohl ziemlich schnell vorbei sein“, sagt er noch.
Nach dem zweiten Satz beschließe ich, in den Presseraum zurückzugehen und das Spiel von dort zu verfolgen. Eine van Gerwen-Gala muss ich mir nicht unbedingt direkt an der Bühne und dann auch noch ohne Sitzplatz anschauen. Mein Begleiter Florian Haider meint plötzlich, dass er jetzt den Rest der Partie in der Halle verfolgen wolle. So ganz kann ich seine Entscheidung nicht nachvollziehen, aber kurz nachdem er weg ist, beginnt die Partie zu kippen. Irgendwann arbeitet keiner mehr im Presseraum und alle Augen sind auf die Bildschirme mit dem Spielgeschehen gerichtet. Das Erstaunen aller ist spürbar. „Die Quote auf den Deutschen war nach dem zweiten Satz bei 1000:1“, sagt einer. Bis das Bild aus der Arena bei uns ankommt, dauert es ein paar Sekunden. So verrät der Jubel der Zuschauer, den wir bis in unseren Raum hören, immer schon vorher, was gleich passieren wird. Am Ende gewinnt van Gerwen doch noch, aber die Leute sprechen vor allem über den Deutschen, der beinahe die Sensation geschafft hat. Auch ich bin sprachlos. Vor allem nach Renés Leistung in der Vorrunde war so etwas absolut nicht zu erwarten.
Anschließend machen Flo und ich uns auf den Weg, um irgendwie noch René zum Interview zu bekommen. Vor dem Mediacenter treffen wir Laure James, die viele Spieler-Interviews für Sky Sports führt. Bislang kannte ich sie nur aus dem TV und da hat sie nicht wirklich einen kompetenten Eindruck gemacht. Meine Meinung zu ihr ändert sich schlagartig in unserem Gespräch. Sie ist auf der einen Seite sehr nett und umgänglich und hat andererseits auch ein sehr großes Fachwissen. Sie liebt den Dartsport und hat großen Spaß an ihrem Job. Auch ihr ist die Überraschung nach diesem Match anzumerken. Ich teile ihr mit, dass René nur aufgrund einer Verletzung eines anderen Spielers in das Finale des deutschen Qualifikationsturniers nachgerückt ist. „Eine unglaubliche Geschichte, das ist der Wahnsinn“, sagt sie nur.
Wir warten noch ein paar Minuten, aber irgendwann wird klar, dass René schon weg ist und kein Interview mehr möglich ist. Da unser Ticket vom Gatwick-Express inzwischen abgelaufen ist und die Taxi-Nummer, die wir in unserer Unterkunft bekommen haben nicht funktioniert, beschließen wir den Rückweg zu Fuß anzutreten. Ungefähr 50 Minuten sollen wir angeblich brauchen, am Ende sind wir anderthalb Stunden unterwegs. Für Flo kein Problem, denn er macht das wohl häufiger in Wien. Ich bin aber nach einem anstrengenden Tag völlig übermüdet und sage ihm, dass wir uns morgen bitte um vernünftige Bustickets bemühen.