Dartoids Welt Nr. 280- Darts im Iran
Ich hatte gehofft, meine Geschäftsreise nach Kuala Lumpur würde mit dem 13. Asia Pazifik Cup im September 2006 zusammenfallen. Leider wurde nichts daraus. Man hielt mich aber über den Fortgang des Turniers auf dem Laufenden und ich freute mich zu hören, dass mein alter philippinischer Freund Ramon Sabalboro nur knapp das Viertelfinale des Männer Einzel/ 501 verpasste. Drei weitere Philippinos, darunter Lourence Ilagan und Rizal Barellano, kamen unter die letzten acht, wieder ein Beweis für das Talent und die große Zahl an Talenten, die man auf dem Archipel finden kann.
Wie erwartet, gewann Neuseeland zum vierten Mal, und man kann jetzt schon darauf wetten, dass es, wenn es das Turnier 2008 selbst ausrichtet, der Favorit auf einen 5. Sieg sein wird.
Es wurde mir aber auch etwas Überraschendes berichtet. Unter all den Ländern, die am Wettkampf teilnahmen (Malaysia, Japan, Singapur, China-Hongkong, Pakistan, Brunei-Daressalam und den Philippinen) gab es auch einen Neuling - den Iran. Er trat erstmals ins Scheinwerferlicht und er enttäuschte nicht.
"Ich traf den Präsidenten der iranischen Dartvereinigung (IDA), Masoud Zohouri, auf dem Funkionärstreffen am Tag vor Beginn des Turniers" schrieb mir mein Kumpel Steve Dorotheo, einer der Manager des philippinischen Teams. "Er war formell gekleidet, war freundlich aber zurückhaltend, dabei voller Begeisterung über den Stand des Dartsports in seinem Land. Wir alle konnten es kaum glauben, als er angab mehr als 200 000 regelmäßig spielende Mitglieder zu haben".
Er fuhr fort: "Während des Turniers waren die iranischen Spieler, vier Männer und zwei Frauen, absolut ernst zu nehmen. Die Männer trugen die übliche Spielerkleidung, während die Frauen ein traditionelles Gewand mit Teamabzeichen an hatten. Eine Gruppe Zuschauer um und mit dem iranischen Sportminister feuerte sie kräftig an und brach bei jedem Sieg in Begeisterungsrufe aus"
Am Ende des Turniers hatte das iranische Team bei seinem ersten internationalen Auftreten seinen Anspruch deutlich angemeldet. Beide Frauen, die 21 jährige, dreimalige iranische Meisterin Sahar Zohouri und die 25 jährige Marjan Karegar Jedi, waren sehr gut platziert. Jedi wurde 5. im Damen/501 und Zohouri verlor das Finale. Zohouri sagte im anschließenden Interview mit Kay Biouki und Harry de Quetteville vom englischen "Telegraph": "Als ich anfing zu spielen, wollte ich die Beste im Iran werden. Dann wollte ich eine der Besten in Asien werden. Jetzt denke ich global und möchte bei den Weltmeisterschaften unter die drei erstplatzierten kommen".
Als ich später durch einen Vermittler Zohouri und Jedi die (politisch vielleicht nicht korrekte Frage) stellte, ob sie sich nicht durch die Kleidung, die sie tragen müssen, benachteiligt fühlen, antwortete Zohouri: "Mein Hijab beeinträchtigt mich in keiner Weise. Ich bin ein muslimisches Mädchen und nach der schriftlichen Überlieferung, den Hadiths, hat mein Prophet Mohammed gesagt: ‚Trainiert Pfeilwurf, Schwimmen und Reiten und ich bin mit euch'."
Jedi sagte: "Wenn ich Dart spiele denke ich an nichts anderes. Ich vergesse all meine Probleme und alles um mich herum und denke nur an meine Darts. Mein Dart sieht wie ein Schiff aus und der Flight ist das Segel. Ich bin der Kapitän und muss das Schiff in den Hafen steuern".
So ist jetzt möglich geworden, was eigentlich unmöglich erschien. Im Iran wird auf beachtlichem Niveau Darts gespielt und man nähert sich den Besten an. Die iranischen Spieler sind genauso gut, wie die Spieler vieler anderer Länder und werden täglich stärker.
Wie mir Negin Khodayari, ein weibliches Mitglied und eine der Trainerinnen des IDA, und jetzt auch eine meiner regelmäßigen E-Mail Bekannten, mitteilt, gibt es im Iran tatsächlich rund 500 000 organisierte Mitglieder, eine Zahl, die mehr als doppelt so hoch ist, wie die 200 000, die die Teilnehmer am Funktionärstreffen in Kuala Lumpur verblüffte. Frappierender freilich ist, dass sich so eine Mitgliederzahl in wenig mehr als 2 Jahren aus einer Bevölkerung von knapp 66 Millionen Menschen in einem wilden, überwiegend unfruchtbaren Land in der Größe Alaskas entwickelte.
Die IDA, deren Hauptquartier in Teheran zu finden ist, wurde offiziell im August 2004 gegründet und kurze Zeit später von der World Darts Federation (WDF) anerkannt. Vor kurzem hat die IDA den Plan an die WDF herangetragen, Darts als offiziellen Sport bei den Paralympics zuzulassen. Noch wartet der Plan auf die Zustimmung.
Khodayari berichtet, dass Darts bis zur Gründung der IDA lediglich ein Zeitvertreib war. Die maßgeblichen Regierungsstellen erkannten die Möglichkeiten des Sports und gründeten die Vereinigung mit dem ausdrücklichen Ziel "Darts als professionelle Sportart zu fördern" und "Glück und Gesundheit der Gesellschaft zu verbessern".
Es ist selbstverständlich, dass die IDA mit ausdrücklicher Genehmigung des iranischen Sportministeriums arbeitet.
In weniger als 8 Monaten schwoll die Zahl der Mitglieder an. Hunderte, ja Tausende Männer, Frauen und Kinder aus allen Schichten der Gesellschaft traten bei, darunter Angestellte, Studenten; Hausfrauen, Behinderte, Politiker und sogar Geistliche. Die verschiedensten Turniere haben im ganzen Land stattgefunden und mehr als 200 Veranstaltungen wurden seit der Gründung der IDA unterstützt. In Zusammenarbeit von städtischen, ländlichen und staatlichen Regierungsstellen wurden mehr als 200 "Darthäuser" in 25 der 30 iranischen Provinzen eingerichtet, eines 3545m über dem Meer am Gipfel des Tochal. Stolz sagt Khodayari "Wir glauben, dass es das höchstgelegene Darthaus der Welt ist".
"Wir gehen davon aus, dass Darts eine anregende Sportart für jedes Alter ist, deswegen halten wir die verschiedensten Wettkämpfe ab", erklärt sie weiter. "Es gab Meisterschaften für Ältere. Im Mai 2006 haben wir die erste Dartsolympiade für Kinder unter 7 Jahren auf einem magnetischen Dartboard abgehalten. 54 Teams aus rund 70 Kindergärten nahmen daran teil".
Eines der Kinder, der sieben Jahre alte Shaygan Mohammadzadeh berichtet folgendes über seine Erfahrungen: "Der Tag der Meisterschaften war sehr interessant, weil alle meine besten Freunde und meine Mutter dabei waren. Ich habe neue Freunde gefunden. Ich werfe meine Pfeile besonders gerne auf die 20, weil ich immer hoffe diese Zahl in der Schule zu bekommen". (Die beste Schulnote im Iran ist die 20)
Ein anderes Kind, ein fünfjähriges Mädchen namens Sogol Rezaei sagte: "Bevor ich teilnahm hatte ich keine Darts, aber jetzt mag ich Darts sehr. Ich habe Darts zur Belohnung bekommen. Die werfe ich auf den Kreis des Dartboards, das ich in meinem Zimmer an die Wand gehängt habe".
Natürlich ist es ein bisschen anders Darts im Iran zu spielen, als in anderen Gegenden der Welt.
"Alkohol ist streng verboten" erinnert Khodayari und wiederholt damit, was Masoud Zohouri nach dem Pazifik Cup den britischen Reportern sagte, "deshalb ist Dartspielen wirklich eine gesunde Beschäftigung für Männer und Frauen. Für die Iraner ist es ein Sport. Es wird in Gefängnissen gespielt, in der Verwaltung und in Fabriken. Es gibt sogar Dartboards in einigen Moscheen".
Laut Khodayari, die im Berufsleben Managerin eines Computerwissenschaftlichen Instituts ist, ist Rauchen, das normalerweise erlaubt ist, in Sport Clubs und Stadien verboten. Sogar Musik wird bei Dartswettbewerben nur selten gespielt. "Oft wird in den Darthäusern auf Musik verzichtet, damit die Spieler nicht abgelenkt werden" sagt Khodayari.
Meistens trinken die Spieler Tee, Saft und Kaffee und konzentrieren sich auf die bevorstehenden Aufgaben.
Gelegentlich, und natürlich nur weil sie nicht Cribbage spielen, versammeln sich ein paar Spieler in einer Ecke und kicken mit einem mit Plutonium gefüllten Hakisak Ball.
(Entschuldigung, aber ich konnte einfach nicht anders!)
Ergänzen sollte man noch, dass im Iran alle Sportarten seit Jahren von Frauen und Männern getrennt ausgeübt werden. Khodayari, die persönlich besonders am Frauensport interessiert ist, weist aber ausdrücklich und ziemlich aufgeregt darauf hin, dass sich die Zeiten langsam ändern. "Die IDA hat schon einige Mixed Meisterschaften abgehalten" sagt sie, "mit Frauen und Männern, wobei natürlich die entsprechenden Regeln eingehalten wurden".
Masoud Zohouri reagierte deutlich und fast gereizt, als er nach dem Asia Pazifik Cup nachdrücklich darauf hingewiesen wurde, das es unter diesen Vorrausetzungen ziemlich unwahrscheinlich sei, das der Iran unter Druck, konfrontiert mit Alkohol, Zigarettenqualm und Lärm, verspottet von heiseren, parteiischen Menschenmassen auf der Weltbühne erfolgreich an Wettkämpfen teilnehmen könne.
"Glauben Sie nur nicht", antwortete er selbstsicher, "dass es im Iran keinen Lärm gibt, nur weil kein Alkohol getrunken wird. Wir sorgen dafür, dass sich das Spiel ohne Alkohol verbreitet und können so für den Rest der Dartwelt zum Vorbild werden".
Als die britischen Reporter Zohouri weiter bedrängten, machte er dem Sport das größtmögliche Kompliment. "Dart kann Menschen rund um den Globus zusammenbringen, gleichgültig welcher Herkunft sie sind", sagte er. "Familien aus unterschiedlichsten Kulturen können zusammenfinden und spielen, gleichgültig welcher Religion, Rasse oder Sprache sie angehören. Das ist der wahre olympische Geist".
Und das ist Darts im Iran.
Vor Ort
Dartoid
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